Die Geschichte der Firma Reemtsma im 20. Jahrhundert ist eine umstrittene Erfolgsstory, die eng mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands verknüpft ist. Eine kleine Zigarettenfabrik in Erfurt war 1910 der Ausgangspunkt für die Bildung eines modernen und mächtigen Konzerns, der Mitte der dreißiger Jahre rund zwei Drittel der deutschen Zigarettenproduktion kontrollierte und dessen Einfluss weit über die Tabakindustrie hinausging. Der rasante Aufstieg des Unternehmens in der Weimarer Republik und in der NS-Zeit fußte auf modernen Produktions- und Marketingmethoden, vor allem aber auch auf aggressiver Expansionspolitik und engen Kontakten zu den Mächtigen in Politik und Wirtschaft. Nach 1948 schaffte Reemtsma es innerhalb weniger Jahre, sich im Nachkriegsdeutschland neu zu positionieren und erneut zum langjährigen Marktführer aufzusteigen. Seit 2002 gehört das Unternehmen — mit Marken wie Peter Stuyvesant, West und Davidoff — zu Imperial Tobacco, dem viertgrößten Tabakproduzenten der Welt.
Das Werk Bahrenfeld an der Luruper Chaussee gegenüber der Trabrennbahn.
Altona 1930-1935
Seit mehr als 80 Jahren ist die Firma Reemtsma zugleich ein prägender Akteur der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Hamburgs: Im Jahre 1923 verlegte der Firmenchef Philipp F. Reemtsma (1893-1959) die Zigarettenproduktion ins damals noch preußische Altona-Bahrenfeld und begann von dort aus, das Unternehmen durch Fusionen, Verdrängung und Firmenübernahmen massiv auszudehnen.
Eröffnungsfeier im Werk Bahrenfeld. Vordere Reihe vlnr.: Philipp F. Reemtsma (3.v.l.), Flora Reemtsma, Bernhard Reemtsma, Hanna Reemtsma, Hans Domizlaff, David Schnur, Hermann F. Reemtsma.
Altona 3. April 1923
Innerhalb weniger Jahre erwarb Reemtsma u.a. die Zigarettenfabriken Manoli, Josetti, Jasmatzi, Batschari und Yenidze und kooperierte außerdem ab 1929 mit dem größten Konkurrenten Haus Neuerburg, der schließlich 1935 ebenfalls vollständig übernommen wurde. Maßgeblich gestützt wurde der Aufstieg durch den Marketing-Experten Hans Domizlaff, der die Marken R6, Gelbe Sorte, Senoussi, Ernte 23 und Ova entwickelte und dem Erscheinungsbild der Firma nach außen hin ein Gepräge gab, sowie durch den ausgewiesenen Tabakkenner und Einkäufer David Schnur, der über beste Kontakte in die Rohtabakländern verfügte. Die hochmoderne Fertigung, die Hermann F. Reemtsma (1892-1961) im Stammwerk Bahrenfeld aufgebaut hatte, stützten die expansive Marktpolitik und Philipp F. Reemtsmas gute Beziehungen zur Finanzwelt stellten einen entscheidenden Faktor dar.
Die B. Reemtsma & Söhne AG in der ehemaligen Gewehrfabrik in Erfurt (Firmensitz 1920-1923).
Erfurt 1920-1923
Werk Wandsbek, ehemals Zweigwerk des Konzerns Haus Neuerburg (Fusion mit Reemtsma 1935/36).
Hamburg 5. Mai 1939 (Reprint)
Der Zweite Weltkrieg bedeutete für das Unternehmen eine einschneidende Zäsur. Philipp F. Reemtsma und seine beiden Brüder waren von den Alliierten interniert worden, die Fabrikanlagen in der sowjetischen Besatzungszone gingen durch Enteignung verloren, und die Werke in den Westzonen, darunter das in Wandsbek, waren stark beschädigt. Außerdem hatte sich das Konsumverhalten der deutschen Raucher — und damit der Zigarettenmarkt — radikal verändert: Statt des Orienttabaks, der vor dem Krieg dominierte, begann nun der Siegeszug des Virginia-Tabaks aus Amerika. Die Firma Reemtsma, die Ende 1948 wieder mit der Zigarettenproduktion begann, stellte sich mit American-Blend-Marken wie Collie erfolgreich darauf ein — und vollzog dadurch die neue Westorientierung mit, die für die Geschichte der Bundesrepublik kennzeichnend war.
In den 70er Jahren erwarb das Unternehmen eine Reihe von Traditionsbrauereien und war zeitweise einer der größten Getränkehersteller. 1980 erwarb die Tchibo AG die Anteile der Erben von Philipp F. Reemtsma und blieb bis 2002 Mehrheitseigentümer. Für 6 Milliarden Euro wurde die Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH im Sommer 2002 Teil des britischen Tabakkonzerns Imperial Tobacco Ltd. aus Bristol.